Warum uns keine Cookie-Apokalypse bevorsteht

Was bedeutet das Blockieren von Drittanbieter-Cookies für Verbraucher, Publisher sowie für die Werbebranche? Hier ein paar Gedanken dazu.
Aktualisiert am 17. September 2024

Seit der Ankündigung von Google, dass der Chrome-Browser in zwei Jahren keine Drittanbieter-Cookies mehr akzeptieren wird, geht mir der apokalyptische REM-Hit „The End Of The World (As We Know It)“ nicht mehr aus dem Kopf. Nicht weil ich glaube, dass das Ende wirklich naht, sondern weil die Ankündigung zu panischen Diskussionen über eine „Cookie-Apokalypse“ geführt hat. Diese Apokalypse, so der allgemeine Tenor, könnte die digitale Werbewirtschaft zerstören und die Zukunft des offenen Internets selbst bedrohen. Die Wahrheit ist: Google hat diesen Schritt bereits im August 2019 angedeutet. Deshalb ist dies wirklich keine große Katastrophe.

Mich persönlich schockiert eher, dass es in der gesamten Branche so wenige Antworten darauf gibt, warum dieser Wandel überhaupt stattfindet und was er bedeutet. Die angekündigten Änderungen liegen noch zwei Jahre in der Zukunft und eine Menge Details sind noch unklar. Das macht die Verwirrung aber offenbar nur noch schlimmer.

Ich möchte mit ein paar Gerüchten über die Cookie-Apokalypse aufräumen und auf drei Fakten eingehen, die häufig entweder falsch oder verzerrt dargestellt werden.

Wahrheit Nr. 1: Nicht alle Cookies werden verschwinden

Die Ankündigung von Google betrifft nur Cookies von Drittanbietern. First-Party-Cookies wird es auch nach der 2-Jahres-Marke noch geben. First-Party-Cookies werden direkt von der vom Benutzer besuchten Website an den Browser gesendet. Sie helfen Werbetreibenden, Retailern und Publishern, ihre Kunden zu verstehen und ihnen die beste Benutzererfahrung auf ihren eigenen Websites zu bieten.

Eine moderne Website vermischt Inhalte aus verschiedenen Quellen. Beispielsweise können Nachrichten und Wetter-Informationen von Drittanbietern kommen. Diese Websites kooperieren mit Technologiepartnern, die ihnen dabei helfen, relevante Werbung zu Produkten und Dienstleistungen auszuspielen, die für die Endbenutzer wahrscheinlich von Interesse sind. Die eingesetzten Third-Party-Cookies tragen dazu bei, Benutzer auf verschiedenen Websites zu erkennen, ihre Erfahrungen zu verstehen und durch relevante Inhalte und Werbung mit entsprechenden Empfehlungen zu individualisieren.

Das Blockieren dieser Cookies von Drittanbietern hat unbeabsichtigte Folgen. Beispielsweise können Funktionen wie unterschiedliche Formen des Single-Sign-On (SSO) nicht mehr genutzt werden, weil sich Social Media Accounts möglicherweise nicht mehr dazu verwenden lassen, dass sich Nutzer nahtlos auf einer Vielzahl von Websites anmelden. Für die Werbeindustrie bedeutet dieser Wandel auch einen Rückschritt in Sachen Attribution: Werbetreibende werden nicht mehr der Lage sein, den ROI zu überwachen. Damit wird es schwierig, die Investitionen in Medien zu rechtfertigen, die nicht an einen Sale oder (wie man im Marketing sagt) eine Conversion gebunden sind. Wir werden also erneut eine Zeit des unpräzisen Ratens erleben, fast so wie damals, als der Einzelhandelspionier John Wanamaker gesagt haben soll: „Die Hälfte des Geldes, das ich für Werbung ausgebe, ist verschwendet. Leider weiß ich nicht, welche Hälfte.“

An diesem Punkt haben wir mehr Fragen als Antworten, denn über eine praktikable Lösung wurde in unserer Branche noch nicht wirklich diskutiert.

Wahrheit Nr. 2: Werbung im offenen Internet mag unvollkommen sein, bietet aber deutlich mehr Datenschutz, als allgemein angenommen

Im Ankündigungs-Blogbeitrag von Google argumentiert der Autor und Direktor von Chrome Engineering, Justin Schuh, dass das Abschaffen von Drittanbieter-Cookies dazu diene, ein Internet mit „größerem Schutz der Privatsphäre“ aufzubauen. Diese Aussage ist meiner Meinung nach etwas voreilig. Cookies von Drittanbietern geben gegen den Willen des Benutzers keine Informationen weiter, die eine Identifizierung über die PII (personally identifiable information) möglich machen. In der Praxis werden die Benutzer im offenen Internet über eine zufällige Kennung identifiziert und ihre PII werden gehasht oder verschlüsselt, sodass Werbe- und Technikpartner nur auf nicht spezifizierte Interessen und Verhaltensweisen der Benutzer zugreifen können.

Die Ausnahme von dieser Anonymität bilden Walled Gardens. Hier werden personenbezogene Informationen wie persönliche Verbindungen und Freunde, Such- und Kaufhistorie und sogar politische Ansichten gesammelt und gespeichert. Theoretisch sollten diese personenbezogenen Daten auf die jeweiligen Internet-Unternehmen beschränkt bleiben, wodurch das Internet im Wesentlichen abgeschottet wird.

Dennoch sind Drittanbieter-Cookies keineswegs eine perfekte Lösung. So ist es schwer, die Zustimmung für Websites zu verwalten, Nutzer haben weniger Einblick in die gespeicherten Daten sowie weniger Kontrolle darüber, wie sie ihre Informationen weitergeben. Aus diesen Gründen wird der von Google angestoßene Wandel vor allem von denen begrüßt, die den Schutz der Privatsphäre der Nutzer schätzen.

Wahrheit Nr. 3: Eine transparente und faire Werbeindustrie ist für das offene Internet unerlässlich

Personalisierte Erlebnisse steigern nicht nur den Wert des Internets für die Nutzer, indem sie Anzeigen sehen, die für sie relevant sind. Auch die Gesellschaft als Ganzes profitiert davon. Dies liegt daran, dass relevante Erfahrungen eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, aus der sich das offene Internet mit seinen kostenlosen Inhalten und Diensten finanziert. In der Tat: Eine Untersuchung von OKO Digital zeigt, dass die Werbeeinnahmen der Publisher auf dem Safari-Browser, der bereits Drittanbieter-Cookies blockiert, nur halb so hoch sind wie im Chrome-Browser, der noch immer Drittanbieter-Cookies akzeptiert. Googles eigene Daten zeigen einen durchschnittlichen Rückgang der Publisher-Einnahmen von 62 %. Dies wird in erster Linie jenen Publishern oder Unternehmen schaden, die über keine umfangreiche, eingeloggte Nutzerbasis verfügen. Viele von ihnen werden nicht in der Lage sein, Verluste bei den Werbeeinnahmen durch Abonnements auszugleichen und müssen möglicherweise ihr Geschäft aufgeben. Das könnte zu einem starken Rückgang der unabhängigen Content-Anbieter im offenen Internet führen. Wenn in Zukunft ein erheblicher Teil des Angebots auf Abonnements basiert, wird ein großer Teil der Nutzer nur noch eingeschränkten Zugriff auf das Internet haben. Dies hat enorme Auswirkungen, nicht nur auf die Werbebranche, sondern auch auf die freie Presse im Internet.

Als in Paris lebender Ire informiere ich mich regelmäßig aus vielen unterschiedlichen Quellen, um über Neuigkeiten aus meiner Heimat auf dem Laufenden zu bleiben. Dazu gehören Websites wie The Irish TimesJournal.ieRTE und der Irish Independent. Alle diese Angebote werden durch Werbung finanziert. Der Verlust solcher glaubwürdigen Quellen bedeutet den Verlust kritischer Stimmen, die mir helfen, eine informierte Meinung zu aktuellen Ereignissen zu bilden. Der Zugang zu einer Vielfalt von Nachrichten und Meinungen ist äußerst wichtig, insbesondere in einer Zeit, in der viele Online-Nachrichtenquellen entweder sehr einseitig oder in ausgesprochen fragwürdiger Qualität berichten.

Eine weitere unbeabsichtigte Folge könnte sein, dass immer mehr Werbetreibende die Walled Gardens nutzen, weil sie denken, dass es dort einfacher ist, ihre Zielgruppe zu erreichen. Wenn dies geschieht, werden die Preise auf diesen Plattformen aufgrund der gestiegenen Nachfrage steigen und anderswo sinken (da nicht davon auszugehen ist, dass die Gesamtbudgets steigen). Zusätzlich zu den Einnahmeverlusten für unabhängige Publisher können auch die Werbetreibenden selbst einen dramatischen Rückgang ihrer Umsätze aus Werbeausgaben und eine zunehmende Abhängigkeit von einigen wenigen großen Akteuren erleben.

Was bedeutet das für Criteo und unsere Kunden?

Bei Criteo haben wir uns bereits vorbereitet und unsere Produkte entsprechend angepasst, um unsere Kunden durch diese Veränderungen zu begleiten und neue Angebote zu entwickeln. So sind wir dem Wandel einen Schritt voraus und können den Erfolg unserer Kunden sicherstellen. Im Laufe dieser Entwicklung stellen wir sicher, dass wir bei allen Anpassungen bereits zukünftige Änderungen im Hinterkopf behalten und uns hin zu einer Unabhängigkeit von Drittanbieter-Cookies entwickeln. Wir waren schon immer stolz darauf, unsere Lösungen auf eine Art und Weise zu entwickeln, die den Schutz der Privatsphäre gewährleistet, und zwar stets mit der Zustimmung des Nutzers. Und wir speichern niemals personenbezogene Daten.

Unser Shopper Graph bietet detaillierte Einblicke in E-Commerce-Transaktionen in einem jährlichen Gesamtwert von 900 Milliarden USD, die wir in unserem Netzwerk von 20.000 Kunden erfassen. Unser Netzwerk von über 4.500 direkt mit uns kooperierenden Publishern versetzt Criteo in die Lage, die Nachfrage- und Angebotsseite des offenen Internet-Ökosystems miteinander zu verknüpfen. Diese direkten Beziehungen zu Publishern und Retailern verschaffen uns den Zugang zu einem großen First-Party-Datenbestand. Dies ermöglicht es unseren Kunden, individuelle Käufer aus einem großen, einmaligen Zielpublikum mit personalisierten Empfehlungen anzusprechen.

Identität ist ein vielschichtiges Thema. Unser Datenbestand (auch der Shopper Graph) operiert deswegen auf mehreren verschiedenen Ebenen. Wir verfügen über einen branchenweit einmaligen ID-Graph, der eine signifikante Anzahl von nicht cookie-basierten IDs enthält. Diese Daten sind besonders für große Brands wertvoll, die nicht wissen, wer eigentlich ihre Produkte kauft. Doch auch die Werbetreibenden, die ihre Zielgruppen erreichen wollen, profitieren. Und nicht zuletzt natürlich auch der einzelne Nutzer, der gerne für ihn relevante Werbung sehen möchte. All diese Daten stellen in großem Maßstab den Treibstoff für unsere KI dar, mit der wir Kaufabsichtssignale aus einer Vielzahl von Quellen analysieren können.

Unsere Retail-Media-Plattform hilft Retailern beim Management und bei der Monetarisierung des Werbepotenzials in ihren eigenen Shops. Dabei wird die Technologie von Criteo in einem First-Party-Kontext eingesetzt. Parallel dazu bewegen wir uns immer weiter an den Anfang der Customer Journey, um neue Zielgruppen über Kanäle wie mobile Apps, Video und Smart TVs anzusprechen. Darüber hinaus kommen unsere Fähigkeiten im zielgruppenorientierten Targeting bereits in unseren Consideration-Lösungen zum Einsatz. Unser Bidder, den wir nahtlos an Header-Bidding und Erstpreis-Auktionen angepasst haben, kann auf Website-Kontext LiveRamp-IDLs und viele andere Datenpunkte bieten.

Privacy-By-Design gehört zur Unternehmens-DNA von Criteo und wir werden unsere Lösungen weiterhin mit unseren einzigartigen Assets, unserer umfassenden KI-Kompetenz, unseren Partnern und unserem Netzwerk von Retailern, Brands und Publishern anreichern. Auf diese Weise werden wir auch weiterhin vertrauenswürdige und wirkungsvolle Werbung auf eine Weise möglich machen, die allen Akteuren der Branche und den Verbrauchern gleichermaßen zugute kommt.

Mit anderen Worten: Wir kümmern uns darum.

Wie können wir also ein Internet aufbauen, das die Privatsphäre besser schützt?

Kurz gesagt: Wir müssen es gemeinsam aufbauen. Zu den wenigen Dingen, in der sich die gesamte Branche (sogar Google) einig ist, gehört, dass dieser Wandel Kooperation erfordert.

Es mag zwar den Anschein haben, dass das Blockieren von Cookies von Drittanbietern in Chrome Google (und den Walled Gardens anderer Unternehmen) mehr Macht verleiht: Doch das stimmt nur, wenn wir als Ökosystem dies zulassen. Bei Criteo sehen wir eine neue Welt kommen und nehmen sie voll und ganz an. Wir sind davon überzeugt, dass die Branche schon längst die Cookie-Technologie für das personalisierte Targeting im Web hätte ausmustern sollen. Entsprechend heißen wir die konzertierten Anstrengungen der Branche willkommen, sich datenschutzrechtlich sicher weiterzuentwickeln.

In einer idealen Welt würden wir alle zusammenarbeiten und eine gemeinsame, universelle ID erschaffen, die relevante Werbung und Produktempfehlungen möglich macht und so das offene Internet vorantreibt. Und da diese ID auch die Multi-Touch-Attribution ermöglichen müsste, könnte sie nicht aus einem Walled Garden oder aus einem einzelnen Browser stammen. Sie könnte von einer auf Standards basierenden Organisation wie dem World-Wide-Web-Konsortium (W3C), dem Media Rating Council (MRC), dem Interactive Advertising Bureau (IAB), oder einer anderen Organisation stammen. Zudem müssen alle Werbetreibenden einbezogen werden. Wir sprechen hier schließlich über deren Geld.

Wir bevorzugen eine für die Nutzer völlig transparente Lösung, in der sie die Rechte an ihren Daten behalten und bei der sie sich nahtlos ein- und ausloggen, ihre Historie ansehen und ihre Erfahrungen anpassen können. Wir glauben, dass eine solche Änderung es Werbetreibenden, Retailern und Publishern ermöglicht, den Webbrowsern die Kontrolle wegzunehmen und ihre potentiellen Kunden auf Basis einer nachhaltigen, auf den Schutz der Privatsphäre ausgerichteten Lösung besser zu verstehen und anzusprechen. Dies würde weiterhin das offene Internet finanzieren und die Dienste bleiben für die Nutzer frei zugänglich und kostenlos. Zudem hätten die Nutzer die Entscheidungsgewalt, anstatt sich von einem Dritten mit voreingenommenem Interesse eine Wahl aufzwingen zu lassen. Aber ohne eine branchenübergreifende Zusammenarbeit wird solch eine Vision nicht einmal ansatzweise möglich sein.

Noch gibt es zwar viele Details zu klären, aber angesichts der Leidenschaft, der Intelligenz und des innovativen Denkens, die ich in unserem Team und im gesamten Ökosystem immer wieder erlebe, mache ich mir keine Sorgen. Wie es im Song von REM heißt, ist es zwar „das Ende der Welt, wie wir sie kennen“, aber vor uns liegt auch die Chance und das Potenzial für etwas Besseres. Und daher geht es mir gut damit.

Diarmuid Gill

Diarmuid, unser CTO, arbeitet seit 2014 für Criteo. Er leitet die Criteo-Teams für Forschung und Entwicklung in Europa und in den USA. Die Aufgabe dieser Teams ist es, leistungsstarke, KI-gestützte Werbung im großen Maßstab bereitzustellen. Er stammt aus Cavan, Irland. An der Dublin City ...

Chief Technology Officer (CTO)